Ich lade ganz kurz ...

Wirkliche Gespräche

Die Schweiz sei eine Demokratie — schön. Dann sollte sie eigentlich auch eine demokratis­che Kul­tur haben. Unmöglich! Kul­tur lebt von Ideen und jede Idee hat einen Autor, also ein Indi­vidu­um. Aus diesem Grund kann’s keine demokratis­che Idee geben und die Idee von der demokratis­chen Kul­tur ist gestor­ben…

Moment: Ideen sind Kinder von Einzel­we­sen, eben von Autoren. Das ist bei Ideen für den fürstlichen Hof nicht anders, als für solche für das Sym­phonieorch­ester der demokratis­chen Stadt Bern. Das Prob­lem liegt nun aber nicht bei der Idee an sich, son­dern beim Anspruch, an wen sie sich zu wen­den hat, für wen sie also bes­timmt sei. Und darauf sagt heute natür­lich jed­er Autor: FÜR ALLE!

Genau hier liegt der Irrtum. ein Werk kann noch so demokratisch gedacht sein, die Demokratie als die Gesamtheit der Bürg­erIn­nen erre­icht sie deshalb noch lange nicht. Darüber müssen wir jet­zt reden.

Wenn der Autor X ein Stück schreibt, das im The­ater Y aufge­führt wird, hat das natür­lich seine Wirkung auf das Pub­likum, das dieses The­ater aufge­sucht und das Stück gese­hen hat. All jene Men­schen aber, die – aus welchen Grün­den auch immer – nicht im The­ater waren, wer­den durch dieses Stück nicht erre­icht. Für ihren All­t­ag spielt es fol­glich keine Rolle. Und so kommt es, dass die Gruppe der vom The­ater Unerr­e­icht­en immer aus der Mehrzahl der Bürg­erIn­nen beste­ht. Eine Kul­tur, die wie eben beschrieben, funk­tion­iert, ist dem­nach nicht demokratisch.

Das ist kein Unglück. Es ist schlicht eine Tat­sache. Und zu dieser Tat­sache gehört nun auch, dass jede solche Insti­tu­tion eine Schwelle hat, die man eben über­schre­it­en muss, und das geht nicht von allein.

Wer also Kul­tur her­vor­bringt, die besucht wer­den will, muss unendlich viel mehr fer­tig brin­gen, als bloss The­ater zu kreieren. Demokratis­che Kul­tur ver­langt nach mehr als nach einem The­ater, ein­er Auseinan­der­set­zung, einem Konz­ert, einem Film, um die Insti­tu­tion in der solch­es ange­boten wird demokratisch, also für die Mehrheit rel­e­vant zu machen.

Um dies zu verdeut­lichen, müsste ich jet­zt ins Detail gehen und notge­drun­gen den Rah­men dieser „Bern­er Kul­turkon­ferenz“ empfind­lich spren­gen. Darauf verzichte ich und ver­weise auf meine „ensuite“-Artikelserie „Eine Leben aus Ideen“ (ensuite Sep­tem­ber 2011 – Jan­u­ar 2013).

Auf einen weit­eren Punkt möchte ich in diesem Rah­men jet­zt noch expliz­it zu sprechen kom­men: Das öffentliche Reden miteinan­der über Kul­tur.

Vor vie­len Jahren haben wir bekan­ntlich über die „Kul­turini­tia­tive“ abges­timmt. Natür­lich wurde sie ver­wor­fen. Damals, vor der Abstim­mung hat­te ich mir auch so meine Gedanken gemacht. Ich hat­te meine Zweifel, ob mehr Geld (das man als Kul­turschaf­fend­er natür­lich immer bit­ter nötig hat), irgen­det­was an der Tat­sache ändern würde, dass wir, die wir mit unser­er in spezielle Häuser einges­per­rten Kul­tur die Mehrheit des Volkes nicht erre­ichen. Ich kam auf eine Idee mit dem Namen „Das kleine Freuden­haus“ und damit auf die Ein­sicht, dass ich mich als Kün­stler nicht bloss um ein gutes The­ater zu küm­mern habe, son­dern min­destens eben­so sehr um die Rolle, die diese Insti­tu­tion in der Öffentlichkeit spie­len sollte – ja müsste.

Auch auf diese Geschichte kann ich nicht weit­er einge­hen, nur auf die Ein­sicht nach einem lan­gen Weg als Kul­turschaf­fend­er: Heute find­et das öffentliche Gespräch über unsere Kul­tur prak­tisch nicht statt – schon gar nicht mit Leuten aus der Poli­tik und noch viel weniger mit jenen aus der Wirtschaft. Ein ein­vernehm­lich­es Reden miteinan­der, zum Beispiel über die Funk­tion der Kul­tur in ein­er lebendi­gen Demokratie, gibt es nicht. Gewiss, diese „Bern­er Kul­turkon­ferenz“ ist jet­zt ein löblich­er Ver­such, eine Aus­nahme. Aber ob daraus ein wirk­lich­es Gespräch wird, eines wo man Zeit hat, wo man sich sieht, sich gegenüber­sitzt, eines das um Lösun­gen ringt und vielle­icht sog­ar mal eine gelun­gene her­vor­bringt, muss sich erst noch weisen. Nach meinen Erfahrun­gen hat man dazu keine Zeit mehr. „Man“, das sind die Men­schen, die gesellschaftlich die Zügel in den Hän­den hal­ten. Sie haben wichtigeres zu tun. Dass aber die Kul­tur, wenn sie sich tat­säch­lich auf das Wesentliche in unserem Zusam­men­leben konzen­tri­ert, sog­ar unser katas­trophal vere­inzeltes Miteinan­der wieder in leb­bare For­men brin­gen kön­nte, erwarten sie mit Sicher­heit nicht von ihr.

Wo das Reden miteinan­der eine Chance hat (nach meinen Erfahrun­gen), ist bei den Leuten ohne Ter­minkalen­der, also bei denen, die nicht alles kaufen wollen und kön­nen, jenen, die Zeit haben, jenen die nicht auf Aufträge lauern, son­dern sich schlicht darüber freuen, wenn sie anpack­en kön­nen, das ihnen gefällt.

Wahrschein­lich wer­den das wohl jene Leute sein, die sich nicht damit beg­nü­gen, ihre soge­nan­nte Botschaft effizient und per Knopf­druck tausend­fach an die Welt „weit­erzugeben“.

Nun, die Wirk­lichkeit ist hand­fest, nicht dig­i­tal. Und das sage ich hier, wo bere­its eine Web­seite „kulturkonferenz.ch“ beste­ht.

Ich set­ze aufs echte Gespräch.

Albert leV­ice
Bern, 9. Jan­u­ar 2014

 

1. Anmerkung der Redak­tion: Albert leV­ice (75) hat jahre­lang “das kleine Freuden­haus” in Thun geführt. Viele Pro­jek­te im öffentlichen Raum sind ihm und seinem Team zu ver­danken.

2. Anmerkung der Redak­tion: Albert leV­ice hat uns diesen Beitrag per Post zugestellt — es gibt keine Möglichkeit, Ihn dig­i­tal zu erre­ichen. Sie kön­nen aber hier genau­so Antworten und wir wer­den zuse­hen, dass Albert leV­ice davon in Ken­nt­nis geset­zt wird… dauert halt ein­fach etwas länger…